Tja, womit fange ich heute an?
Die heiße Phase des Countdown ist angelaufen, in einer Woche genau um diese Uhrzeit werden wir uns schon für die Trauung fertigmachen.
Mein Brautkleid nimmt Form an, der gestrige Besuch bei der Schneiderin ergab nur noch minimale Passformkorrekturen im Taillenbereich und im Bereich der hinteren Achsel (Armausschnitt hinten warf noch ein Fältchen). Die habe ich mittlerweile alle abgearbeitet. Außerdem ist das Kleid jetzt ausgebügelt.
Ich muss nur noch das Innenfutter an den Kanten des Hals- und Armausschnitts festpunkten, d. h. mit winzigen, von außen nicht sichtbaren Stichen befestigen. So verhindere ich, dass der Futterstoff oben rauskrabbelt. Ich habe mich auch gegen das Besticken des Kleides mit den Perlchen entschieden, weil die zu gelb sind bei Tageslicht.
Die endgültige Länge werden wir dann morgen bei einem Open-End-Nähmarathon festlegen.
Beim Abstecken ist uns gestern nämlich aufgefallen, dass der Reifrock, den ich für sagenhafte 6,49 Euro ersteigert hatte, etwas zu schmal ist, um das Kleid zu stützen. Zwei Rockbahnen klappten immer zusammen (=sicheres Zeichen, dass der Saumumfang des Kleides für den Reifrock darunter zu groß ist).
Es gab jetzt zwei Möglichkeiten:
1. Neuen Reifrock kaufen.
Problem: Beim Brautausstatter kostet so ein Gerät um die 70 Euro und das ist mir zuviel Geld.
Die Auktionsbucht ist auch keine Alternative, auch wenn ein Reifrock dort nur 45 Euro incl. Versand kostet. Denn wie knapp vor der Feier möchte ich den Reifrock geliefert bekommen und wie wenig Zeit bliebe uns dann noch für das Festlegen und Nähen des Saumes? Denn dies kann man erst dann machen, wenn man den richtigen Reifrock darunter trägt.
2. Alternative:
Man näht eine (oder auch zwei) Lagen Tüll auf den bereits vorhandenen Reifrock und verschafft ihm damit einen moderat größeren Umfang, um das Kleid zu stützen.
Problem: Der einzige Laden im Umkreis von 50 km hat vor vier Wochen die letzte Rolle weißen Tülls verkauft und es wurde nichts nachbestellt, weil die gerade komplett umbauen.
Und über die Auktionsbucht Stoff zu bestellen dauerte mir zu lang.
Was tun? Ich habe mich an das ungeliebte alte Brautkleid erinnert. Relikt meiner Vergangenheit (jetzt wäre dramatische Hintergrundmusik sicherlich angebracht).
Es hat damals 1200 DM gekostet und war eine einzige Katastrophe, weil man die Änderungen bei der Passform falsch umgesetzt hatte. So war das Kleid letztendlich viel zu lang und gleichzeitig zu eng im Brustbereich.
Bei der Anprobe bei Abholung des Kleides habe ich das aber nicht gemerkt, weil ich morgens einen heftigen Verkehrsunfall hatte und mit Halskrause und blockiertem Hals- und Brustwirbeln ins Kleid stieg. Mein Körper fühlte sich ohnehin an, als steckte er in einem zu engen Korsett, da fiel das zu enge Kleid nicht weiter auf.
Eigentlich hätte es die Verkäuferin sehen müssen, dass das Kleid nicht richtig saß. Aber die hat fein geschwiegen, denn die wollte natürlich das Kleid endlich verkauft sehen. Eine Änderungskorrektur hätte nur den Gewinn gemindert.
Auf der Hochzeitsfeier rächte sich die schlechte Beratung:
Um 23 Uhr wurde ich wegen eines geplatzten Reißverschlusses ins Kleid eingenäht und meine Tante hat den Saum mit der Nagelschere abgeschnitten, damit ich überhaupt tanzen konnte, ohne dass mir ständig jemand auf dem Kleid herumstand. Ich war damals kurz vorm Ausflippen und wollte sogar eine Freundin per Taxi zu mir nach Hause schicken, damit sie mir mein grünes Abendkleid holt. Das durfte ich aber nicht, schließlich war das Brautkleid zu teuer gewesen, um es um 23 Uhr einfach auszutauschen. Also Zähne zusammengebissen und weitergemacht.
Nach der Hochzeit habe ich dieses teure Fiasko von einem Kleid im Kleidersack auf den Dachboden gehängt. Beim Aufräumen fiel es mir immer mal wieder in die Finger und ärgerte mich allein durch seinen Anblick und die Erinnerungen. Aber es war verrückt, ich konnte das Kleid auch nicht verkaufen oder wegwerfen, um mich davon zu befreien. Ich wagte es nicht aus Furcht, meine Mutter zu enttäuschen. Und schleppte es weiter mit mir herum.
Als meine Schneiderin und ich gestern überlegten, woher wir den Tüll zum Reifrock-Tuning herzaubern sollten, fiel mir das ungeliebte alte Kleid ein. Da war ein wunderbarer Tüllrock eingenäht mit schönem Stand.
"Hast du dich mal gefragt, warum du das olle ungeliebte kaputte Kleid so lange aufbewahrt hast, wenn nicht dazu, jetzt den Tüll daraus einem neuen und besseren Zweck zuführen zu können?" Ich hätte sie küssen können dafür, dass sie aussprach, was ich in dem Moment auch gerade überlegte.
Geradezu karmisch.
Ich hatte zwar noch ein etwas komisches Gefühl, die Schere zu zücken und etwas vom alten Kleid im neuen zu verwenden, aber mit jedem Schnitt fühlte es sich besser und richtiger an.
Es war, als schnitte ich mit jedem Schnitt etwas Belastendes ab. Es war ein guter Moment, ein Abschnitt geht zu Ende und macht Raum für einen Neubeginn. Leichtherziger Abschied von dem, was mich in Zukunft nicht mehr belasten soll.
Dann steckte ich den Tüll auf den Reifrock, nähte ihn fest und machte eine Anprobe mit Kleid - perfekt. Auf Anhieb! Besser gehts nicht.
Das "richtige Gefühl" verstärkte sich immer mehr. Ich nehme nur das Gute und die Lehre aus meiner Vergangenheit mit, aber nicht die Traurigkeit. Ich darf es mir selbst aussuchen, was ich loslasse und festhalte.
Heute habe ich den Rest des ollen Kleides betrachtet und festgestellt, dass da noch sehr schöne weitere Verwertungsmöglichkeiten vorhanden sind.
Und dann habe ich meiner Mutter, die das Kleid damals bezahlt hatte, meinen "Abschnitt" gebeichtet. Sie findet es gut und richtig, auch wenn mein Pragmatismus sie sicherlich etwas überrumpelt hat. Und sie hat mir auch grünes Licht gegeben, alles Brauchbare vom Kleid fröhlich und kreativ zu recyceln!
Es fühlt sich richtig an. Es fühlt sich so an, als läge ein besonderer Segen auf der Arbeit an diesem Kleid, denn alles läuft erstaunlich gut und die auftauchenden Probleme sind keine echten Hindernisse, sondern eher Herausforderungen, noch kreativer zu werden. Herrlich. Ich habe einen Flow erwischt und im richtigen Moment mit dem Kleid losgelegt.
Und dann war da gestern noch ein kleiner Notfall. Eine Freundin hat mir letzte Woche stolz ihr Pailettentop gezeigt, das sie auf der Hochzeit tragen will. Und dann hat sie es gewaschen. Jetzt glitzert die Waschmaschine...die ließ sich zwar retten, aber das Top war dahin. Und nun?
Ich habe letzte Woche beim Ausverkauf im Stoffladen sagenhaft günstigen fliederlila Crashtaft mitgenommen. Zu dem Preis und in der tollen Farbe rief er mir zu "Nimm mich mit, ich bin billig und man kann mich irgendwann gebrauchen!" Meinen Einwand, dass ich bereits ein Abendkleid in fast demselben Farbton habe, hat der Stoff einfach beiseite gewischt. Also habe ich ihn gekauft. Und in den Stoffschrank gepackt.
Ich bin also gestern zum Stoffschrank, holte den Stoff raus und zeigte ihn meiner Freundin. Funkelperlenaugen. Spontanes Habenwill.
Und dann habe ich losgelegt. Um 17:25 Uhr bin ich mit dem Vermessen meiner Freundin angefangen, um 18 Uhr war der Papierschnitt fertig gezeichnet und der Stoff zugeschnitten. Um 19:05 Uhr war das Kleid soweit fertig, dass ich jetzt nur noch den Reißverschluss einsetzen, die Nähte ausbügeln und den Saum nähen muss. Die endgültige Passform steht und auch die Länge ist bereits festgelegt.
Meine Freundin saß mit offenem Mund bei mir im Nähzimmer und staunte nur noch, wie mir da binnen 1 1/2 Stunden ein fast fertiges Kleid aus der Nähmaschine fiel.
Und für eine Stola ist auch noch genügend Stoff übrig! Auf dem Foto sieht es natürlich nicht so gut aus wie in real, ich muss es noch ausbügeln und die Schneiderpuppe hat nicht die passende Größe. Aber man bekommt zumindest einen Eindruck, wie es mal aussehen wird.
Nach 100 Minuten Speednähen habe ich dann abends noch meinen Junggesellinnenabschied mit meinen Mädels erlebt. Das war richtig gemütlich. Kein Stripper, kein Cindy-aus-Marzahn-Kostüm, kein wilder Zug durch die Kneipen. Stattdessen haben wir nett gegessen bei meinem Lieblingsitaliener und anschließend noch in der einzigen Kneipe im Ort gesessen.
Um Mitternacht war ich wieder zuhause und ziemlich nüchtern, was sich heute früh auch als Vorteil herausstellte: Unser Kleiner hat jetzt einen Durchschlupf im Kinderbett und war heute um 6:17Uhr der Meinung, es seit heller Tag und höchste Zeit zum Aufstehen, Frühstücken und Herumtoben im Elternbett.
Mein Plan für die nächsten Tage sieht so aus:
Heute 16:00 Uhr Traugespräch bei unserer Pastorin
Morgen 14:30 Uhr Oben-End-Nähen bei meiner Schneiderin
Montag 10:30 Uhr Speed-Nähen Teil 2 mit meiner Freundin (die besorgt den Reißverschluss und dann gehts weiter)
Mittwoch Schlüsselübergabe für den Saal, Tische stellen und eindecken, Donnerstagfrüh Blumendeko aufstellen.
Freitag dann 9:30 Uhr Standesamt, 17:00 Uhr Kirche und irgendwann Samstagfrüh Saal putzen, denn morgens müssen wir das Gebäude wieder aufgeräumt, mit sauberem Geschirr und besenrein übergeben, weil nachmittags schon die nächste Feier startet. Das klingt für mich nach einer kurzen Nacht und einer Speedputzaktion am frühen Morgen.
Irgendwann nächste Woche dann noch Vorgespräch wg. des Essens für die Feier, Einkaufen der Getränke und Anzug zur Reinigung bringen und wieder abholen. Schuhe einlaufen. Jungs nochmal zum Friseur schicken.
Und ganz wichtig: Meinen neuen Namen schreiben üben, damit ich nicht so eine Kinderunterschrift auf der Urkunde mache.
Ich werd mich sowieso noch zigmal mit falschem Namen am Telefon melden...
Liebe Grüße,
Postpanamamaxi