Sonntag, 30. September 2012

Mütterliche Feuchtgebiete

Ja, auch sowas gibt es im Hause Postpanamamaxi.

Man nennt es auch VW Passat. 16 Jahre alt, kein bisschen ehrwürdig und leicht heruntergekommen (besonders im Fußraum vor der Rückbank, weil meine Kinder ihn binnen weniger Fahrten in etwas verwandeln, das erschreckende Ähnlichkeit mit dem Inhalt des gelben Sacks aufweist).
Aber er fährt und fährt und fährt...

Aber warum Feuchtgebiet? Weil das mütterliche Frachtschiff einen veritablen Wasserschaden erlitten hat.

Und natürlich war mal wieder meine wunderbare "Frucht der Liebe" darin verwickelt.
Eben ein echtes Früchtchen, unser Dreijähriger...

Was er angestellt hat?

Er hat eine große Affinität zu Autos. Kein Wunder mit einer Mama, die Autoreifen wechseln kann und einem Papa, der ganze Wochenenden unter irgendwelchen reparaturbedürftigen Autos verbringt. Wenn man da als Dreijähriger in der Werkstatt abhängt, dann bleibt es nicht aus.

Und während ich letzte Woche das Mittagessen vorbereitete, hat unser dreijähriges Früchtchen im Garten getummelt. Was ich leider nicht mitbekommen habe: Er hatte sich ins Auto gesetzt. Er liebt es, auf dem Fahrersitz zu knien, am Lenkrad zu ruckeln, den Warnblinker anzuschalten und mit Brummgeräuschen und vibrierender Unterlippe für Nieselregen auf dem Armaturenbrett zu sorgen.

Zum Feuchtgebiet wurde mein Auto aber erst durch den Umstand, dass unser Kleiner die beiden Fenster neben Fahrer- und Beifahrersitz runtergekurbelt hatte.
Dann hatte er keine Lust mehr auf Autospielen und trollte sich Richtung Sandkiste, wo ich ihn dann auch zum Mittagessen reinholte. Ein schneller Blick über die Schulter zur Auffahrt - alles okay - und dann gings ins Haus.

Tja, dass die Fenster runtergekurbelt waren, habe ich dann erst ein paar Stunden später gemerkt. Da war gerade ein mächtiger Regenschauer niedergegangen und ein prächtiger Regenbogen schmückte den Himmel. Für den ich in dem Moment so gar keinen Sinn hatte.

Denn mein Auto stand unter Wasser. Teppich, Polster, Seitenablagen, Sitze - alles durchnässt. Es war ein starker Schauer.

Und dann habe ich erstmal massenhaft Zeitungspapier ins Auto gelegt, die Sitze mit trockenen Handtüchern abgetupft und auf gutes Wetter gehofft.
Nach ein paar Tagen mit angeschalteter Heizung und offenem Schiebedach hatte ich dann endlich wieder ein notdürftig trockenes Auto.

Ich war mal wieder restlos begeistert.
Übrigens hat dieses Früchtchen auch den Türöffnerknopf aus der Fahrertür rausgedreht und irgendwohin weggeschmissen. Wiedergefunden haben wir den Knopf jedenfalls nicht. Jetzt hat mir mein Mann einen Plastikdübel dort reingedreht. Besser als nichts.



Freitag, 28. September 2012

Wie erkläre ich etwas, das ich selbst nicht verstehe?

Gestern Mittag im Auto.
Nachrichten auf NDR2.

Im Jahr 2006 hat man ein kleines neugeborenes Mädchen tot im Papiermüll gefunden.
Ein Jahr später findet man einen kleinen neugeborenen Jungen, ebenfalls tot, auf einem Rastplatz an der B201.
DNA-Tests erweisen, dass beide toten Kinder Geschwister sind.

Die Ermittler starten einen DNA-Test. Aber die Mühlen mahlen langsam und gründlich. Zu langsam. Anhand der Adressen aus der Wagenladung Papiermüll kann man einen bestimmten räumlichen Bereich eingrenzen, auch der Fundort in Silberstedt bestätigt diese Eingrenzung.

6 Jahre später wird endlich ein DNA-Test durchgeführt. Sehr viele Frauen nehmen daran teil.
Dann stellt sich die 28jährige Frau, die ihre beiden Kinder nach der Geburt getötet und weggeworfen hat. Sie hat noch drei weitere Babyleichen im Keller, jüngere Geschwister.
Und im schönen Einfamilienhaus, wo sie mit ihrem Ehemann wohnt, leben zwei gemeinsame Kinder von 8 und 10 Jahren, die nicht ahnen, dass sie 5 tote jüngere Geschwister haben.

Ihr Mann will nichts von den Schwangerschaften bemerkt haben, ebenso ihr persönliches Umfeld. Sie behauptet, sie hätte die Kinder getötet, weil sie befürchtet hatte, ihr Mann würde sie bei einem weiteren Kind im Haushalt verlassen und ihren guten Lebensstandard beenden.

Der Sprecher im Radio sagt, dass diese Verhaftung wahrscheinlich dafür gesorgt hat, dass nicht noch mehr Babys nach der Geburt getötet würden.

Ich befinde mich auf der Bundesstraße, habe beide Kinder hinten im Auto sitzen. Während der Kleine interessiert die Kühe und Windmühlen betrachtet, sehe ich in das Gesicht meines Fünfjährigen.

"Wie geht es dir?"
Er tut unbeteiligt. Guckt aus dem Fenster, wie mir der Blick in den Rückspiegel zeigt.
"Gut, Mama."
Ich glaube ihm nicht. Ich kenne diesen Tonfall, der so harmlos klingt und alle meine Alarmglocken schrillen lässt.
"Hast du eben die Nachrichten gehört?"
"Nein, Mama."
Konzentrierter Blick aus der hinteren Seitenscheibe, scheinbar sind die vorbeiziehenden Windmühlen draußen sehr interessant. Als wenn die Antwort auf seine Fragen da draußen zu finden sei.
Minuten später dann die befürchtete Frage:
"Mama, warum hat die das getan? Die Frau mit den Babys? Warum macht sie sie tot und schmeißt sie weg wie Müll?"

Es gibt Momente, da zerreißt es einem das Herz. Ganz still, leise und unblutig. Aber die Narben bleiben ewig.

"Ich weiß es nicht, Krümel. Ich glaube, das kann einem keiner wirklich erklären, kein Arzt, kein Pastor. Wenn jemand sowas tut, dann bleiben nur offene Fragen zurück und es gibt keine Antworten darauf."

Schweigen. Kann ich eine Brücke zu seinem Herzen bauen, ihm in dieser Sekunde den Rücken nachhaltig stärken?

"Krümel, diese Frau war krank im Kopf und im Herzen. Die konnte weder vernünftig denken noch war ihr Herz in der Lage, diese Kinder zu lieben. Die hat nur gesehen, dass sie sie nicht gewollt hat, und sie einfach weggeschmissen. Sie hat das Wertvollste weggeworfen, was sie hätte haben können.

Mach dir keine Sorgen, mein Liebling. Du wirst geliebt. Von der allerersten Sekunde an. Ich liebe dich, dein Vater liebt dich, dein Bruder, deine ganze Familie und deine Freunde. Und Gott liebt dich. Und dein Bruder Kröte wird genauso geliebt. Ihr seid in Sicherheit."

Ich blicke über die Schulter. Seine blauen Augen wirken so dunkel in diesem Moment, sein ganzer klapperdürrer Körper drückt Trauer aus um jene Kinder, die nicht dasselbe Glück hatten wie er.

Mein Gott, er ist fünf Jahre jung. Viel zu jung für diese Bürde, sich mit sowas auseinandersetzen zu müssen. Dinge verstehen oder wenigstens stehenlassen zu können, die nicht mal ich verstehen oder einfach hinnehmen kann.
Dieses Kind ist zu wach, zu aufmerksam. Diese Gabe wird ihm noch oft Leid zufügen, bis ich ihm hoffentlich beigebracht habe, wie er damit besser umgehen kann.

Und dann kann ich ihn nicht einmal in den Arm nehmen und seine Tränen wegwischen, weil ich vorn am Steuer sitze und er hinten auf der Rückbank. Aber eine Hand von mir findet den Weg nach hinten, erwischt ein knochiges Kinderknie und streichelt es.

Langsam legt sich eine kleine warme Kinderhand auf meine.
Wir werden es gemeinsam schaffen. Eines Tages werde ich die richtigen Antworten finden oder ihm zumindest helfen können, diese Sensibilität richtig zu handhaben.
Bis dahin kann ich nur bei ihm sein und versuchen, ihn durch meine Nähe zu stärken. Und durch den Umstand, dass ich genauso verletzlich bin und trotzdem weitermache, und dass er das deswegen auch kann.
Und ich werde die Nachrichten im Radio ausschalten.

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