Donnerstag, 28. Juni 2012

Vom Verlust der Unschuld

Wettbewerb und ein paar zünftige Rangeleien gehören zum Jungssein dazu.
Jungs brauchen die Möglichkeit, sich körperlich auszuleben und zu erproben, ihre Rangkämpfe auszuleben und das richtige Maß an elterlicher Einmischung, aber auch Zurückhaltung.

Typische Accessoires einer Jungskindheit auf dem Lande sind Gummistiefel (zu jeder Jahreszeit), ausgiebiges Wasserpüddern, eine Matschkuhle und natürlich Wasserpistolen!
Tolerante Eltern, die bei solchen wilden Aktionen entspannt mitlachen können und nicht sofort eingreifenderweise den Spaß abwürgen, sind hierbei sehr hilfreich.

Meine bilden da keine Ausnahme. Wobei diese Art Kindheit natürlich auch Mädchen guttun kann. Mädchen wie ich eines war.

Heute war so ein Jungstag bei uns.

Ein paar Häuser weiter lebt ein knapp Siebenjähriger, der heute Besuch von seinem gleichaltrigen Freund hatte. Nachdem sie in haarsträubender Weise mit den Rädern immer quer über die Straße geradelt waren, ohne auf den querfließenden Verkehr zu achten, brauchten sie ein anderes Betätigungsfeld.

Mein Fünfjähriger stand am Zaun, seine nagelneue Wasserpistole im Arm und voller Hoffnung, dass sie ihn mitspielen lassen würden.
Es ist so rührend, zu beobachten, wie frei und freundlich-einladend er auf andere Kinder seiner Größe zugeht und versucht, sie zum gemeinsamen Spiel zu gewinnen.
Dass er bei Gleichgroßen leider immer auf Kinder trifft, die mindestens 1-3 Jahre älter sind als er, liegt an seinem Hochwuchs. Mein Fünfjähriger ist schlau und sprachlich den Älteren ebenbürtig, aber im Herzen ist er eben noch Fünf und kein Schulkind.

Sein Wunsch wurde wahr, die beiden Jungs tauchten ihrerseits mit Wasserpistolen auf und ich habe sie freundlich eingeladen, alle zusammen in unserem Garten zu spielen (hauptsache, das Harakirifahrradfahren hörte auf und sie blieben von der Straße weg!).

Aber dann endete es so, dass sich die beiden Freunde zusammenrotteten und sie gemeinsam Jagd auf meinen Großen machten. Die typische Entwicklung, wenn drei Kinder zusammenkommen und zwei davon enger befreundet sind.
Zuerst machte er noch freundliche Miene zum bösen wilden Spiel, aber als er komplett durchnässt war, war er den Tränen nahe. Ihm fehlten die Worte, das Unrecht zu beschreiben, was die beiden wilden Jungs an ihm verübten. Er spürte aber deutlich, wie unfair die Situation war.

"Mama, die sind gemein!"
- "Ich weiß. Zwei gegen einen ist unfair. Da bist du unterlegen. Aber du bist schlauer als sie. Benutz den Kopf und überleg eine Taktik."
"Was würdest du tun, Mama?"
- "Hmm. Du bist pitschenass, noch nasser kannst du nicht werden. Also kannst du sie jetzt nassspritzen ohne zu befürchten, dass sie zurückschiessen. Du bist ja schon komplett nass."
"Aber die sind zu zweit und ich allein und wenn ich nachlade, dann bin ich Zielscheibe für sie!"
- "Ja, aber sie müssen auch mal nachladen. Und dann sind sie abgelenkt und beugen sich weit über das Planschbecken. Da reicht ein kleiner Schubs und die liegen im Pool."

Gesagt, getan.
Platsch.

Und dann bekam ich von dem einen unfreiwillig gebadeten Jungen zu hören, wie gemein das doch gewesen sei und überhaupt und sowieso...ich habe dann ganz ruhig geantwortet, dass er das Bad im Pool doch selbst herausgefordert hätte, indem er sich mit seinem Kumpel gegen meinen Jungen verbündet hätte, um ihn leichter zu besiegen. Zwei gegen einen ist nicht nur unfair, sondern auch noch feige. Sein eben noch so wilder Freund war dann auf einmal auch ganz kleinlaut und gemeinsam trollten sie sich ziemlich bedröppelt.

Tja, ich habe dann meine Kinder aus den nassen Klamotten gepellt und sie erstmal unter die Dusche zum Aufwärmen gestellt. Hier waren heute nur 16 Grad.

Und mein Fünfjähriger war stolz, sich gewehrt zu haben - und vor allem dass seine Gegenwehr erfolgreich war trotz der Übermacht der anderen. Das war eine sehr wichtige Lerneinheit für seine Persönlichkeitsentwicklung.
Aber seelenwund war ich, als er dann anschloss: "Ob die sich trockene Sachen anziehen und dann mal wiederkommen, um gemeinsam mit mir im Haus Lego zu spielen?"

Das ist typisch mein Fünfjähriger. Immer bereit, das Gute in seinen Mitmenschen zu sehen. Oder sehen zu wollen.

Ich werde ihn schützen, indem ich ihm beibringe, wie er sich selbst schützen und wehren kann.
Aber das erfordert, dass ich ihm genau diese Unschuld schrittweise und möglichst behutsam nehmen muss. Diese unschuldige, unwissende Freundlichkeit, mit der er auf seine Umwelt zugeht und die ich so liebe an ihm.
Denn die Welt ist nicht so gut, wie er es in seinem Herzen vermutet. Auch wenn es schön wäre, könnte sie so sein, wie er sie wahrnimmt!

Ich bin nicht nur stolz auf ihn und seine heutige Lektion. Ich bin auch stolz auf mich, dass ich mich nicht schützend vor ihn gestellt und ihn damit in den Augen der anderen Jungs zum Mamakind bloßgestellt habe.
Ich muss mich hinter ihn stellen, seinen Rücken decken, ihm Mut machen und ihn notfalls auffangen. Und manchmal auch bremsen, damit er keine anderen unter die Räder bekommt.
Das ist mein Platz in seinem Leben.

6 Kommentare:

  1. Ich habe gerade deinen schönen Post gelesen. Es stimmt, wir können unseren Kindern nicht alle Steine auf ihrem Lebensweg wegräumen. Aber wir können ihnen zeigen, dass es immer einen Platz gibt, wo sie gehalten und gestärkt werden. Aus dieser Sicherheit heraus können sie dann wieder in die Welt stürmen mit der Gewißheit, dass sie jemand hält und wieder auf die Beine stellt, sollten sie mal stolpern.
    GLG
    Andrea

    AntwortenLöschen
  2. Genial- ich gehöre zu den Müttern, die unüberlegt auf die Widersacher der Kinder losspringen. Ich hab schon viel gelernt und lasse sie inzwischen viel selber ausfechten. Aber ich kann kaum an mich halten, wenn meinen Kindern Unrecht geschieht. :-)

    AntwortenLöschen
  3. Du bist einfach toll! Und deine Kinder auch! Ich wünsche mir, das ich diesen Spagat auch hinbekomme....

    Astrid

    AntwortenLöschen
  4. Liebe Postpanamamaxi,

    Du hast eine wunderbare Gabe vom Universum bekommen.

    Die Gabe, andere Menschen mit Deinen Worten tief zu berühren...


    Herzliche Grüße
    Eva

    AntwortenLöschen
  5. Du hast die Liebe einer Mutter wunderschön in Worte gefasst. Ich habe großen Respekt vor dir und deiner Art, den weniger einfachen Dingen im Leben, sensibel entgegenzutreten.

    Wir können unsere Kinder nicht schützen - vor den Enttäuschungen die das Leben mit sich bringt - aber wir können ihr Rückgrad stärken, damit sie sich entgegenstellen.

    Liebe Grüße
    Daniela

    AntwortenLöschen
  6. Für deine vielen schönen Geschichten, Anekdoten, Anleitungen für all dein Herzblut habe ich dich für den Liebster Blog Award ausgewählt

    http://aaronblackjewel.blogspot.de/2012/07/blog-awards.html

    AntwortenLöschen

Hallo und schön, dass Du hier vorbeischaust und mir antworten willst. Ich freue mich über Dein Interesse an meinem Blog. Bitte halte Dich, wenn Du hier kommentierst, an die allgemein gültigen Regeln für den höflichen und fairen Umgang miteinander. Behandle jeden so, wie Du selbst behandelt werden möchtest. Danke.
Und nun schreib los!

Disclaimer

Ich erkläre hiermit, dass ich mich ausdrücklich von allen Inhalten der von mir verlinkten Seiten in meinem Blog distanziere und mir deren Inhalt nicht zu Eigen mache.
Alle Bilder und Texte dieses Blogs sind mein persönliches und geistiges Eigentum und dürfen nicht kopiert oder veröffentlicht werden.
Sie unterliegen dem Copyright und dürfen nicht ohne meine Erlaubnis in irgendeiner Form weiterverwendet werden.