Montag, 2. Mai 2011

Alles Liebe zum 64. Hochzeitstag!

Heute, am 2. Mai, hätten meine Großeltern ihren 64. Hochzeitstag gefeiert.
Dieses Jahr wäre mein Großvater im Juli 100 Jahre alt geworden und meine Oma wäre jetzt 87.

Stattdessen sind sie schon lange nicht mehr unter uns. 53 gemeinsame Ehejahre haben sie geschafft.

Oma und Opa lernten sich nach dem Krieg kennen.

Meine Großmutter war mit Opas jüngerem Bruder verlobt und hat kurz vor Kriegsende eine Tochter von ihm bekommen. Bevor er heimkommen und sie heiraten konnte, fiel er irgendwo an der Westfront. Heute nennt man Omas Status "alleinerziehend mit Kind", damals wurde es in der Gesellschaft nicht so entspannt gesehen.

Mein Großvater war verheiratet und beim Endkampf um Berlin wurde er von den Russen gefangen genommen. Bis Oktober 1945 war er gefangen und hätte nach Sibieren gebracht werden sollen, aber es gelang im die Flucht Richtung Heimat. Zu Fuß ging es von Berlin durch die sowjetisch besetzte Zone nach Schleswig-Holstein, das von den Engländern besetzt war. Ab Neumünster fand er eine Mitfahrgelegenheit auf einem Armeelastwagen, die ihn bis über den Nord-Ostsee-Kanal brachte.

Als er auf den letzten Kilometern heimwärts seiner Frau begegnete, hat diese ihn nicht wiedererkannt. Für sie war er nur ein weiterer abgerissener Landser in den Resten seiner Uniform. Opa hat damals 45kg gewogen. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet, ihn jemals wiederzusehen. Zuviele galten als vermisst und ihr fehlte die Kraft, weiter zu hoffen. Sie hatte sich aufs Überleben konzentriert und dazu mit ihm abgeschlossen.
Nach ein paar Tagen zuhause erkannte er dann, dass sie sich anderweitig umorientiert hatte und ein besonders gutes Verhältnis zu einem der einquartierten ehemaligen Offiziere hatte.

1946 ließ mein Opa sich scheiden. Auf dem Rückweg vom Amtsgericht kam er an der Wirtschaft vorbei, wo meine Oma mit ihrer Tochter lebte und arbeitete. Er dachte sich, dass er doch bei dieser Gelegenheit kurz ausruhen und seine Beinahe-Schwägerin und die Tochter seines Bruders kennenlernen könnte.

Irgendwie brach die Liebe und die Hoffnung aus...und 1947 wurde geheiratet. Oma und Opa zogen ins Nachbardorf, wo Opa dann seinen Tischlermeister machte und eine kleine Werkstatt als Bau- und Möbeltischler eröffnete. Und Opa war auch der dörfliche Bestatter, richtete die Särge her und betreute die Angehörigen in den organisatorischen Angelegenheiten.

Dann kamen die Kinder...1948 ein Sohn, 1949 eine Tochter. Dann starb der Kleine, der den Namen von Opas Bruder trug. 1950 folgte meine Mutter, 1954 noch eine Tochter.
Es muss hart gewesen sein für meinen Opa, keinen männlichen Erben zu haben, der seinen Betrieb übernehmen würde. Immer wieder starben die männlichen Hoffnungsträger in seiner Familie, diverse Brüder waren gefallen und nun kamen nach dem Tod des einzigen Sohnes nur noch Mädchen zur Welt! Also entschied er sich, dass die Hoffnungsträger in seiner Familie weiblich waren und sorgte dafür, dass seine Töchter alle einen Beruf erlernten, der sie ernähren konnte.

Für alle Töchter bestand die Mitgift meiner Großeltern darin, dass Opa Fenster und Türen fertigte für ihre Häuser.

1970 wurde ich geboren. So früh war das nicht geplant, aber manchmal scheint es ganz gut zu sein, dass das Leben nicht nach unseren Plänen fragt und einfach macht, was es will.
Meine Eltern und ich lebten also die ersten 3 Jahre unter dem Dach meiner Großeltern und während Mutti und Papa arbeiteten, wuchs ich bei Oma und Opa auf in Waschküche, Schrebergarten und Tischlerwerkstatt.
Oma und Opa haben allen Enkelkindern den Führerschein zum 18. Geburtstag geschenkt und uns damit in einer ländlichen Region die unverzichtbare Portion Mobilität verliehen. Ich weiß bis heute nicht, wie sie sich das Geld zusammengespart haben. Als ich dann als erste den Führerschein hatte, bin ich mit Mutti zusammen zu meinen Großeltern gefahren, um ihnen die rosa Pappe zu zeigen.

Als wir auf den Hof fuhren, war mein Opa gerade draußen im Garten. Ich sehe es auch nach 23 Jahren noch wie im Film vor mir, wie Opa aufgeregt winkend und rückwärtslaufend den Einweiser auf der Auffahrt machte - und dabei rückwärts in Omas gepflegte Rabatten purzelte. Mutti und ich schmunzeln heute noch darüber.

Insgesamt sind wir 8 Enkelkinder geworden und haben mittlerweile 12 Urenkel zustande gebracht, Nummer 13 soll in 3 Wochen schlüpfen. Und so, wie in der Generation meiner Mutter irgendwie nur Mädchen kamen, haben wir jetzt nur 2 Mädchen und demnächst 11 Jungen in der Urenkelgeneration.

Ich wohne in einem der Häuser, für die Opa die Haustür gefertigt hat. Den Zaun hat er mir noch selbst aufgestellt, genauso wie die Verkleidung des Schuppens. Da war er schon 86 Jahre alt und immer noch rüstig und geistig beweglich. Und freute sich wie ein Schneekönig, dass seine Enkelin ins Nachbarhaus gezogen war. Ich sollte ein Auge auf die beiden haben, wenn sie einst gebrechlich werden sollten.

Wir haben in dem Jahr mit unseren Großeltern goldene Hochzeit gefeiert und zwar abends mit Gottesdienst und anschließend Musik und Tanz bis in den frühen Morgen, und Opa und Oma haben beide noch fröhlich mitgerockt und alle Gäste betanzt.

Kurz vor seinem 89. Geburtstag starb er an Herzversagen. Gottseidank ist ihm langes Siechtum und geistiger Verfall erspart geblieben.

Aber ich schäme mich heute noch dafür, damals nicht erkannt zu haben, dass seine Zeit gekommen war, zu gehen. Ich ließ ihn ins Krankenhaus bringen in der Hoffnung, dass man ihm dort nochmal helfen könnte und auch aus Angst um Oma, die total überfordert war mit der Situation. Ich konnte nicht loslassen und habe ihn allein gelassen und das tut mir heute noch bitter Leid. Das ist jetzt 11 Jahre her.

2003 starb meine Oma. Stand morgens auf, fühlte sich schlecht, rief meine Tante an und legte sich dann wieder ins Bett und starb. Herzversagen. Tags zuvor hatte meine Mutter ihr noch die Haare schön frisiert, eine Woche vorher hatte Oma gerade ihre neuen Wohnzimmergardinen aufgehängt und ihr Wohnzimmer renovieren lassen. Als wir ratlos in Omas Stube saßen, lag auf ihrem Tisch der Prospekt für die geplante Busreise im Sommer. Und vor Opas Sessel stand wie immer sein Foto auf dem Tisch, in der Vase davor eine der ersten Blüten aus dem Garten, die sie erst am Vortag geschnitten hatte.

Der Hausarzt sagte hinterher, Oma hätte schon länger ein schwaches Herz gehabt, aber sie hat uns nie davon erzählt. Sie hatte wohl gefürchtet, wir hätten sie dann in Watte gepackt und ihr Schonung verordnet und ihre Unternehmungslust gedämpft. Und das hätte Oma nicht ertragen.

Oma konnte nämlich so lauthals aus dem Herzen heraus lachen, dass man sie dann sogar in einem vollen Festsaal heraushören konnte. Oma konnte einen Fremden binnen Minuten so an ihrem Tisch integrieren, dass er sich wie ein alter langvermisster Freund fühlte. Aber wehe, jemand benahm sich nicht so, wie Oma es erwartete. Dann musste er damit rechnen, dass Oma ihm geradeheraus die Meinung sagte. Man wusste immer, woran man bei ihr war. Und er Hilfe brauchte, dem half sie tatkräftig.
 Diese beiden Menschen mit einem Herzen, so groß, stark, liebevoll und gut, starben an schwachem Herzen. Ironie des Schicksals.
Oder auch nicht. Denn das, was sie am meisten fürchteten, blieb ihnen erspart: Sie gingen den kurzen und leichten Weg hinüber und erlitten kein langes Siechtum oder geistigen Verfall. Und das, denke ich, ist dann auch wieder eine Gnade. Omas und Opas Weg war für sie leicht, nur für die Hinterbliebenen ist er der schwere Weg.

Wir haben Opa und Oma in ihren Kleidern beigesetzt, die sie immer zu den großen Familienfesten getragen haben. Opa in seinem guten Anzug mit Weste und Oma in ihrem knallroten Ausgehzweiteiler, den sie auch zum Empfang bei der goldenen Hochzeit getragen hatte.

Mama hat gesagt, sie und ihre Schwestern hätten dem Bestatter damals extra dies Ensemble mitgegeben, damit Opa sie gleich erkennt, wenn sie oben ankommt.

Ich wette, er stand schon an der großen Pforte und grinste sie an, so wie er es immer zu tun pflegte, wenn er stolz und glücklich war.

Es tut mir Leid, dass ich ihnen nicht immer die pflegeleichte Enkelin war, die sie sich erhofft hatten. Dass ich mich oft missraten gefühlt habe und selbst von mir enttäuscht war. Aber ich bin jetzt selbst Mutter und hoffentlich eines Tages auch Großmutter und habe gelernt, dass man keine Kinder kriegt, damit diese einen glücklich machen sollen. Kinder müssen sich selbst sein dürfen und ihre Fehler machen, und können trotzdem unser Glück sein. Irgendwie weiß ich, Oma und Opa haben das längst gewusst und mir nur nie gesagt, dass sie mir alles verziehen haben.

Alles Liebe zum Hochzeitstag von Eurer ältesten Enkelin!
Ich vermisse Euch, aber ich weiß tief innendrin, dass wir uns niemals verlieren werden.

Postpanamamaxi

10 Kommentare:

  1. Was für eine wunderschöne Lebensgeschichte!
    Liebe Grüße

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  2. Ein wunderschöner Eintrag! Danke dafür!

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  3. ...das ...war schön, dein Beitrag.
    Ich denke auch oft über meinen Opa nach, der im November mit knapp 99 Jahren gestorben ist. Seine
    Frau, meine Oma, lebt noch. Sie wird im Mai 94.
    Sie war vor kurzem 2 mal im Krankenhaus und wir dachten, sie folgt dem Opa. Aber Oma ist wieder wohlauf und voller klarer Gedanken.
    Bin gerührt.

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  4. Liebe Liz,
    ohne viele Worte, Dein heutiger Beitrag rührt mich sehr.
    LG Katja

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  5. Was für ungewöhnliche, beeindruckende und liebenswerte Menschen das gewesen sein müssen!

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  6. Nachdenklich und sehr schön. Nun weiß ich woher du dein offenen Wesen und deine Art die Dinge beim Namen zu nennen hast. Du hattest wunderbare Großeltern und sie wussten bestimmt auch, was für eine junge selbständige Frau da heranwächst. *knuddel*

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  7. So rührend und liebevoll geschrieben!

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  8. Vielen Dank für diese wunderschöne Geschichte!

    LG Erika

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  9. Liebe Liz, du kannst dich wirklich glücklich schätzen solch großartige Großeltern zu haben. Ja, "haben" (Gegenwart). Denn in euren Herzen leben sie weiter.

    LG niki

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  10. Ein wunderschöner Beitrag, der mich auch an meine Oma denken lässt ... Sie war beim Friseur, beim Arzt und am nächsten Tag war sie gestorben - Sekundenherztod. Ein schöner Tod für sie und ich muss immer wieder daran denken, dass wir uns nicht verabschieden konnten und ich ihr nicht mehr sagen konnte, wie sehr ich sie liebe. Aber ich bin sicher, sie wusste und weiß es - genau wie Deine Großeltern.
    Ganz liebe Grüße

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