Dienstag, 20. September 2011

Glasperlen in Haithabu

Hej!
Wie versprochen möchte ich Euch heute noch ein wenig durch das frühmittelalterliche Haithabu führen und ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern.
Ich muss voranstellen, dass ich kein Gelehrter bin und auch kein offizieller Mitarbeiter des Museums, sondern einfach nur ein neugieriger erzählbegeisterter Reenactmentfan. Auf Authentizität oder sonstige Unfehlbarkeit erhebe ich also keinen Anspruch.
Und was ich hier dazugelernt habe, das möchte ich gern mit Euch teilen, wenn Ihr mögt.

Heute gehts zum Glasperlenmacher. Nordic Shopping!

Fast so schmuckbehängt wie Mister T!
Grundsätzlich war es bei den Wikingern so, dass man nicht viel von vornehmem Understatement hielt.

Wer was hatte und erfolgreich in seinem Geschäft war (welcher Art dies auch gewesen sein mag, ob nun als Händler, Krieger oder als Großbauer oder Handwerker), zeigte dies auch gern und deutlich durch das Tragen von Schmuck, kostbaren Waffen und edlen, aufwändig verarbeiteten Stoffen.

Eine Frau mit einem Schmuckbehang wie auf dem obigen Bild wird schon sehr wohlhabend gewesen sein (bzw. einen sehr erfolgreichen Gatten gehabt haben), denn je nach Art der Glasperlen wurden bis zu 25 Hühner für eine einzige Glasperle gezahlt!

Vermutlich aus diesem Grund sind die allermeisten Wikingerglasperlenketten auch nicht symmetrisch paarweise aufgefädelt, sondern stellen eher ein buntes Sammelsurium dar. Man nahm, was man kriegen konnte, und fädelte es auf: Glas, Bernstein, Halbedelsteine wie Karneol oder Bergkristall, Silber, Bronze oder gar Gold.






Auf diesem Bild kann man wunderbar diese alten Glasperlen aus Haithabu betrachten. Es handelt sich hierbei um Originalfunde, die man bei den Grabungen in Haithabu gefunden hat.
Viele der Techniken, die man auch heute noch am modernen Gasbrenner anwendet, sind schon damals bekannt gewesen. Allerdings war die Herstellung ungleich schwerer und anstrengender, weil das Glas mittels Holzkohle geschmolzen wurde.


Ist diese Perle nicht traumhaft schön? Es wundert mich nicht, wenn ein ganzes Hühnervolk dafür den Besitzer gewechselt hat.

Die Fotos stammen übrigens aus der alten Ausstellung im Wikingermuseum in Haithabu, die seit 2010 durch die neue und schwerpunktmäßig anders aufgebaute neue Ausstellung abgelöst wurde.
Wer die Möglichkeit hat, sollte sich unbedingt noch das Buch zur früheren Ausstellung besorgen: Schaufenster einer frühen Stadt, Hildegard Elsner, Wachholtz Verlag

Die neue Ausstellung ist anders konzipiert, wesentlich moderner, farbiger, multimedialer und mit einer anderen thematischen Schwerpunktsetzung - und auf ihre Art genauso sehenswert.

Und das neue Begleitbuch zur Ausstellung ist ebenso ein Musthave: Haithabu - Fernhandelszentrum zwischen den Welten, Birgit Maixner

Meine beiden Haithabubücher stehen gleichberechtigt nebeneinander im Bücherschrank und sind mir ganz besondere Wissensschätze geworden.


Und so mag* der Arbeitsplatz eines Glasperlenmachers in Haithabu ausgesehen haben: Zwei Blasebalge, die für einen gleichmäßigen Luftstrom sorgen, um den kleinen Ofen mit Holzkohlebefeuerung anzufachen.
In der Holzschale im Vordergrund sind die Glasstückchen zu sehen, aus denen die Perlen geformt werden.

*Das übliche Problem mit der Fundlage - vieles konnte nicht gefunden werden, weil es im Lauf der Zeit vergangen ist. In diesem Fall kann die experimentelle Archäologie helfen, Wissenslücken zu schließen oder die richtige Interpretation eines fragmentarischen Fundstücks zu erarbeiten.





Jetzt geht es los. Früher hätte man den Sklaven oder eines der im Haushalt lebenden Kinder rangepfiffen. Bei uns ist kurzerhand ein Gruppenmitglied als Helfer eingesprungen, um die Blasebalge nach Anweisung des Meisters zu bedienen.
Dieser wiederum hat auf der Seite des Ofens Platz genommen und erstmal eine Handvoll Holzkohle eingefüllt, damit die notwendige Hitze erzeugt werden kann. Jetzt wird das Feuer mit den Blasebalgen angefacht.
Mit der Zange wird das Glasstückchen in die Glut gehalten, bis es anfängt zu schmelzen. Jetzt wird es an einen ebenfalls erhitzten Metallstab geklebt. Man beachte, wie das schmelzende Glas sich von transparentem Orangerot zu einem dunklen Schwarzbraun verfärbt, je heißer es wird.



Mit diesem Metallstab wird jetzt das geschmolzene Glas um einen Stab gewickelt, der vorher in ein Trennmittel getaucht und am Rande der Glut getrocknet wurde. Wäre dieses Trennmittel nicht aufgebracht, würde das Glas am Wickelstab festkleben und die fertige Perle würde sich nicht lösen lassen.




Jetzt muss die Perle ganz langsam abkühlen. Dazu darf man sie nicht sofort aus der Gluthitze entfernen. Erstmal wird die Hitze gemildert, indem man den Blasebalg nicht mehr betätigt.
Anschließend darf die Perle neben dem Ofen, aber nicht mehr in der direkten Hitze, weiter abkühlen. Kühlt die Perle zu schnell ab, ist sie sehr empfindlich und geht leicht kaputt. Geduld ist also ganz wichtig für den Glasperlenmacher.
Dabei tippt der Glasperlenmacher den Wickelstab ein paarmal vorsichtig auf den Arbeitstisch auf, um die Perle zu lockern.

Manchmal geht die Perle bei dieser Aktion kaputt. Dann muss alles nochmal wieder eingeschmolzen werden, um nochmal von vorn mit dem Perlenformen zu beginnen.

Aber wenn man alles richtig gemacht hat und neben der Erfahrung und Geschicklichkeit auch noch das nötige Quentchen Glück hat, dann hat man am Ende eine wunderschöne Glasperle, die dann vielleicht eines Tages am Brustschmuck einer Wikingerfrau glänzen wird - oder an der Kette eines stolzen Kriegers.

Diese Glasperle aus der Fotoserie hängt nun übrigens an der Sammelkette meines Vierjährigen, zusammen mit dem selbstgeschmiedeten Anhänger aus Ribe und der silbernen Brakteate vom dänischen Silberschmied. Was andere als Bettelarmband tragen, ist bei meinen Miniwikingern die Sammelkette, wo ein Souvenir von fast jedem Ausflug, den wir gemeinsam unternehmen, angehängt wird.


Während der Sommermonate ist der Glasperlenmacher häufig bei den Wikingerhäusern in Haithabu anzutreffen und lässt sich gern bei der Arbeit über die Schulter schauen. Und wer weiß, vielleicht wird man sogar kurzerhand als Blasebalgsklavefreiwilliger dienstverpflichtet und ist ganz nah dabei.

Natürlich kann man dort auch Glasperlen erwerben. Diese schönen Teilchen glänzen nicht nur an einer frühmittelalterlichen Gewandung, sondern machen auch als Teil eines modernen Kleidungsstils einen sehr guten Eindruck.

Ich danke Sven für diesen kleinen Einblick in sein Handwerk und dem Wikinger Museum Haithabu, und ich hoffe, ein paar von Euch dermaßen neugierig gemacht zu haben, dass Ihr bald mal vorbeischaut. Bedenkt dabei bitte, dass die Ausstellung ganzjährig geöffnet ist, die Wikingerhäuser aber im Winterhalbjahr geschlossen sind.

Schon mal vormerken für alle, die wikingisches Handwerk und Handel live erleben möchten:
Herbstmesse am 5. und 6. November 2011, dieses Jahr wieder im Museum und nicht in den Häusern!
Nordic Shopping bis zum Abwinken (oder bis das Hacksilber ausgeht).

Tolle zeitnahe Infos zu Haithabu findet Ihr auch hier (und da schreibt dann auch ein Experte und kein Hobbywikinger wie ich es bin):
www.haithabu-tagebuch.de

Viel Spaß!

4 Kommentare:

  1. Danke für diesen netten Einblick...und das Teilen......
    P.S. Mein Candy ist rum(;-)

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  2. Ui, was für ein schöner Blogeintrag!
    Und was für schöne Perlen! Irgenwo hab ich doch auch eine Kette aus Haithabu...(mit wesentlich weniger Perlen, da ich nicht so viele Hühner dabei hatte)
    und so ein Museumsheft. Das muss ich gleich mal suchen....

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  3. Oh, dank Butzebären bin ich zum Glasperlenfan geworden weiß, wieviel Arbeit und Zeit alleine in der heutigen Zeit in der Entstehung einer Perle stecken. Sagenhaft, was die Leute schon früher machen konnten...

    LG
    Dagmar

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  4. Vielen Dank für den interessanten Bericht!
    Die hatten ja Preise. 12 Hühner, tzt tzt tzt...
    LG Petra

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