Montag, 5. September 2011

Impressionen einer mittelalterlichen Stadt: Haithabu

Ausblick auf Haithabu
Wenn man den kilometerlangen hohen Ringwall, der einst die mittelalterliche skandinavische Stadt Haithabu umschlossen hat, durch das alte Nordertor durchschreitet, eröffnet sich vor einem der obige Ausblick. Wobei allerdings anzumerken ist, dass vor 1000 Jahren hier nicht nur eine Handvoll Wikingerhäuser standen, sondern eine respektable Stadt, die sich über 24 ha Fläche erstreckte! Was sich hier vor uns als beschauliche kleine Siedlung zeigt, war damals die dichtbevölkerte Handelsmetropole im südlichsten Bereich des skandinavischen Herrschaftsgebietes.

Und die unterschiedlichen Grabfunde aus Haithabu beweisen, dass diese Stadt durchaus ein Melting Pot wie das moderne New York gewesen sein muss. Man fand hier sowohl skandinavische, als auch sächsische oder slawische Bestattungsformen, sowohl heidnische als auch christliche Grablegungen.
Es gab eine große Zahl Gräber von ärmerer Bevölkerung, aber mit dem Kammergrab 5 fand man auch eines der an Edelmetallen reichsten Gräber in Skandinavien. Bemerkenswert ist auch das Bootskammergrab, das 1908 südwestlich des Ringwalls entdeckt wurde und sehr reiche Beigaben enthielt.

Von der einstmals so großen frühmittelalterlichen Stadt wurden 7 unterschiedliche Haustypen wieder aufgebaut, die die unterschiedlichen Bauformen wiedergeben. Unsere Gruppe residierte in diesem Jahr gleich mehrmals in Haus 7, der Herberge.
Und auf diesem Weg taucht man in die frühmittelalterliche Stadt ein. Rechts vom Weg, gleich als erstes Haus, liegt die Herberge.
Katerstieg
Die Wege innerhalb Haithabus waren teilweise bereits mit Bohlen befestigt, was bei dem feuchten nordischen Klima und dem starken Verkehrsaufkommen durch Fußgänger, Karren, Ochsengespanne und Pferde durchaus angebracht war.
Die meisten Häuser in Haithabu waren traufständig plaziert: Die Schmalseite stand zum Weg hin, hinter den Häusern ertreckten sich dann die Gärten.
Mir persönlich gefallen die lebenden Weidengeflechtzäune sehr gut. Sowas könnte ich mir auch als Teil meiner eigenen Gartengestaltung gut vorstellen.


Und hier geht es zum Hafen.
Einen der Bootsanlegestege hat man nachgebaut. Bei den Grabungen im ehemaligen Hafengebiet von Haithabu Ende der 1970er hat man allerhand interessante Dinge gefunden.
Neben sehr aufschlussreichen Textilfunden war u. a. auch eine Zungenfibel dabei (die einzige dieses Typs, die man bisher in Haithabu gefunden hat), Schwerter, Bronzebarren und Bronzepatrizen (Rohlinge für die Schmuckfertigung) und, man staune, eine für damalige Verhältnisse recht große Bronzeglocke.

Da wird sich so mancher Händler und Seemann fürchterlich geärgert haben, als diese wertvollen Dinge über Bord gingen.

Den Textilien weinte hingegen keiner eine Träne nach. Man fand sie als mit Teer und Sand verklebten Klumpen. Offenbar wurden abgelegte Textilien zum Abdichten der Bootsrümpfe verwendet.

Was damals als Abfall galt, ist den Textilhistorikern ein großer wertvoller Schatz geworden. Ich kann mir gut vorstellen, dass da so manche Freudenträne heimlich kullerte, als man herausfand, was diese Klumpen für dieses Forschungsgebiet bedeuteten.

Bewahrte doch die Kombination aus Teer, Sand und Wasser am dunklen Hafengrund die Textilien vor der Zersetzung. Außerdem ist es interessant, Textilfunde zu betrachten, die nicht mit einer Grablegung in Zusammenhang stehen.
Gräber allein sind nämlich nicht immer aussagekräftig für den Lebensalltag (Vor 100 Jahren wurden die Leute beispielsweise im Leichenhemd beigesetzt, wenn das in 1000 Jahren ausgegraben wird, könnten die Archäologen ohne weitere Referenzfunde auf die Idee kommen, unsere Vorfahren wären alltäglich so herumgelaufen!).

Bei den Textilfunden aus dem Hafen konnte man also darauf hoffen, dass man keine speziellen Beerdigungskleider entdeckt hatte, sondern Alltagskleidung, die durch ihre unterschiedlichen Abnutzungsspuren weitere Antworten zur damaligen Mode geben konnten.

Brunnenanlage in Haithabu
Und so sah es in einem typischen Hinterhof in Haithabu aus.
Neben dem eingelagerten Brennholz und dem Hauklotz gehörte auch der eigene Brunnen dazu.

Man fand unterschiedliche Brunnentypen und dieser hier auf dem Foto hat noch eine ganz besondere Randgeschichte zu erzählen. Dieser Brunnen wurde aus einem Transportfass gebaut, das in den Boden eingelassen wurde. An Orten, die wie Teile Haithabus recht tief und grundwassernah gelegen waren, reichte die Brunnentiefe aus, um Wasser daraus zu schöpfen.

Über die Wasserqualität, die man aus so einem Brunnen schöpfen kann, insbesondere wenn man bedenkt, dass man auch die Ausscheidungen der Menschen und Tiere zwischen und hinter den Häusern ablud, wollen wir mal nicht allzugründlich nachdenken. Hygiene ist bekanntlich eine Erfindung, die sich erst erschreckend spät durchsetzen konnte. Wie es damals in so einem dichtbevölkerten Ort gerochen haben mag, möchte ich mir lieber nicht vorstellen.
Aber was nun das Besondere an so einem nachgebauten Fassbrunnen ist?

Diese Fässer waren aus Weisstanne, einem Holz, das in Skandinavien nicht vorkommt. Das häufige Vorkommen dieser Holzfässer ist also der Beweis für die regen Fernhandelsbeziehungen Haithabus auch mit südlich gelegenen Gebieten. Recycling von Verpackungen ist also schon vor 1000 Jahren Standard gewesen. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass die Wikinger mit diesem Fasstyp und Holztrögen durchaus schon über eine Art Normbehälter verfügten, die sich sowohl auf Karren als auch auf Schiffen praktisch unterbringen ließen.

Haithabu war Handelsplatz für das gesamte nördliche und mittlere Europa, England und Irland. Ein riesiges Einzugsgebiet, was angesichts der Verkehrsmittel und Wegeverhältnisse damaliger Zeit erstaunlich anmuten mag.

Selbst arabische Besucher, die wahrscheinlich auch Sklavenhandel betrieben, berichteten von ihren (für sie oft befremdlichen) Erlebnissen in Haithabu.


Im frühmittelalterlichen Haithabu wird es kaum so still und friedlich vorgegangen sein wie dieses Foto nach Schließung des Museums für Besucher glauben macht. Rinder und Hühnerschar gehören zu den ständigen Bewohnern der Wikingerhäuser und genießen es, wenn die Tagesbesucher gegangen sind.

Es ist ein ganz besonderes Erlebnis, diesen Ort auf diese ganz besondere Weise erleben zu können.

Und ich hoffe, es war für Euch mal ein unterhaltsames Erlebnis, wenn die Seifensiede-Näh-Mamatier-Postpanamamaxi Euch heute mal auf einen kleinen Spaziergang durch Haithabu mitgenommen hat.

Nächstesmal - wenn Euch das überhaupt interessiert - erzähle ich Euch vom Glasperlenmachen auf Wikingerart und wie man so lebte in damaliger Zeit.

Viele liebe Grüße,
Postpanamamaxi

PS: Und wie kommt so eine wie ich auf die Idee, Seife zu machen? Ich wollte wissen, ob die Araber mit ihren Berichten über das Hygieneverhalten in Haithabu wirklich Recht hatten. Wie haben die Wikinger Seife gemacht, hatten sie überhaupt welche und wozu haben sie sie verwendet?
Es ist hochspannend, was dabei alles herausgekommen ist...sowohl für mein Hobby Reenactment als auch für meine Seifensiederei.


4 Kommentare:

  1. ein toller Ausflug. In der Schulzeit war ein Tripp dorthin Pflicht, damals gab es natürlich noch nicht so viel zu sehen und wir Schulkinder haben uns höchst gelangweilt. Anders heute, sehr spannend und Du schreibst immer soooooo schön!

    liebe Grüße
    Dörte

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  2. Was für ein idyllischer Ausflug und was für tolle Fotos !
    Ich habe es genossen .
    LG.Birgit

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  3. Schöner Bericht aus meiner alten "Heimat". Da bin ich gespannt wie es weiter geht mit den Glasperlen.
    LG Petra

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  4. Obwohl ich eigentlich keine Zeit hab, hab ich mir alles durchgelesen. So interessant wars!
    Bei uns in der Nähe haben sie auch eine originale Slavenburg an ihrem ursprünglichen Platz aufgebaut. Guckst du hier: www.slawenburg-raddusch.de Aber Asche auf mein Haupt: ich habs noch nicht dahin geschafft... Die Kinder aber schon, dank Schule... *schäm*
    Also, erzähl ruhig weiter. LG Anke

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