Dienstag, 28. Juni 2011

Tutorial: Wie näht man ein Brautkleid


Gleich vorneweg eine Spoilerwarnung: 
Wer sich vom fertigen Kleid überraschen lassen will, guckt bei diesem Post lieber aus dem Fenster!

Dies sind die vier Schnittmusterteile, die ich aus kräftigem Transparentpapier zugeschnitten habe. Im Bild oben die rückwärtige Mittelbahn und die Seitenbahn, unten dann die vordere Mittelbahn und die vordere Seitenbahn. Die Letztere ist daran sehr gut erkennbar, dass die Nahtlinie wesentlich stärker gewölbt ist als beim rückwärtigen Seitenteil.



Und hier das vordere Seitenteil nochmal in Großaufnahme.

Da ich 1,85m groß bin, musste ich es um rund 7cm verlängern. In vielen Schnittmustern sind bereits Verlängerungslinien eingezeichnet, an denen man den Papierschnitt einfach durchschneidet, ein entsprechend breites Papierstück unterlegt und dann zusammenklebt. Die meisten Schnitte kalkulieren mit einer Durchschnittsgröße von 1,68m bei Damen. Ich liege also satte 17cm über der Norm und muss die entsprechend in meinem Schnitt verteilen.
Es würde übrigens nicht reichen, einfach den Rock unten länger zuzuschneiden, denn dann würde das Kleid im Oberkörperbereich nicht richtig sitzen. Bei mir ist eben alles ein bisschen länger geraden.
Idealerweise wird ein Schnitt also an mindestens 2 oder sogar 3 Stellen verlängert: Oben im Trägerbereich (hier habe ich darauf verzichtet), zwischen Brustpunkthöhe und Taillenlinie und im Rockteil.

Dann ist auf diesem Papierschnittmuster auch noch zu erkennen, dass ich vorne einen Keil eingesetzt habe.
Ich bin nämlich nicht nur etwas lang geraten, sondern auch noch stark "vorderlastig" und mit einer üppigen Oberweite bedacht worden.

Und da beginnt die Sache knifflig zu werden. Im Rückenteil würde mir eine 46 reichen, im Vorderteil bräuchte ich wegen der großen Cups rein auf den Umfang bezogen fast eine 52.

Eine normale 52 im Vorderteil wäre aber wiederum nicht tief genug und zu breit für mich. Man erkennt dies bei fertigen Kleidern immer daran, dass man unter den Achseln den BH sehen kann und dass da irgendwie zuviel Stoff ist, der dann hässlich absteht.

Würde ich jetzt einfach die gesamte Oberweite nehmen und danach das Schnittmuster wählen, würde es im Rücken und den Schultern zu breit werden und vorne trotzdem noch zu klein wirken. Und ich würde den Stoff, der hinten zuviel ist, unter den Achseln nach vorn ziehen, um vorn die Brust zu bedecken.

Dies ist auch der Grund, weshalb mir gekaufte Kleider eigentlich nie richtig gut passen können. Die meisten Schnitte in der Konfektion und auch die Fertigschnitte für Hobbyschneider gehen maximal von einem C-Cup aus, und alle die mit mehr beglückt wurden, bekommen Passformprobleme.

Ich habe also den Papierschnitt genommen und im am weitesten vorn liegenden Punkt der Kurve waagerecht bis kurz vor den Rand aufgeschnitten. Dann habe ich diesen Schnitt aufgezogen, Papier untergelegt und festgeklebt. Die neue Kurve harmonisch abgerundet und somit eine neue Brustlinie geschaffen, die steiler ist und mir entsprechend mehr Länge im Vorderteil, aber auch Raum nach vorne bietet.

Dadurch ist natürlich auf der Seite, die später die Seitennaht des Kleides darstellen wird, ein flacher "Einzug" entstanden. Diesen habe ich ebenfalls nochmal ausgeglichen und begradigt. Dies hat mir nochmal ein bisschen mehr Platz in der Oberweite des fertigen Kleides gegeben.

Habe ich mich einigermaßen verständlich ausgedrückt? Ansonsten bitte Rückfrage per Mail. Ich weiß, wie man mit einer großen Oberweite verzweifeln kann und bin selig, diese Lösung für mich gefunden zu haben. Da teile ich dies Wissen gern mit anderen!


Dies sind die ersten beiden Teile, die ich zugeschnitten habe. Das vordere Mittelteil im Stoffbruch, damit ich keine Naht in der Mitte bekomme, und nach meiner Erklärung jetzt eindeutig identifizierbar: das vordere Seitenteil.

Da das Kleid sowohl im Futterstoff als auch im Oberstoff aus Dupionseide besteht, muss ich jedes Teil (außer der vorderen Mittelbahn) insgesamt zweimal ausschneiden.


Beim Zuschnitt des Spitzenstoffs bin ich dann etwas bequem und nehme einfach den Oberstoff als Schnittmuster. Vorteil: So sind alle drei Lagen exakt gleich.


Und dieses kleine Häufchen Stoff wird nun mein Brautkleid werden. Man sieht es diesem Häufchen nicht an, aber es sind 13 Meter Seide und Stickereitüll!
Später wird sich zeigen, wieviel Volumen dieselbe Menge Stoff einnehmen wird, wenn sie erstmal zusammengenäht ist. Dann bauscht es sich gewaltig und ich bekomme zeitweilig den Eindruck, eher ein Zelt als ein Kleid zu nähen.

Aber noch bin ich am Anfang und das Gebausche wird erst mit fortschreitendem Werdegang des Kleides zunehmen.

Ich nähe jeweils die seitlichen Vorderteile an die entsprechenden mittleren Vorderteile. Diesen Vorgang mache ich beim Spitzenstoff, beim Oberstoff und beim Futterstoff. An die hinteren Mittelteile nähe ich auch die jeweilige Seitenbahnen an.

Ganz wichtig hierbei: Die Mittelnaht, die die beiden Bahnen des rückwärtigen Mittelteils verbindet, darf jetzt noch nicht genäht werden. Warum, erkläre ich Euch später.

Nun muss ich den Spitzen- und Oberstoff gemeinsam an der Schulter rechts auf rechts zusammennähen. Damit sind die beiden halben Rückenteile und das Vorderteil miteinander verbunden. Dasselbe mache ich mit dem Futterstoff.

Nun werden beide "Kleider" rechts auf rechts am Ausschnitt und an den Achseln zusammengesteckt. Die Tüllschicht, die später die oberste Stofflage sein soll, landet in der Mitte. Nach dem Zusammennähen an diesen drei Nähten sind die Träger praktisch fertig und kann ich das Kleid wenden. Hierzu ziehe ich jeweils ein halbes Rückenteil durch den Träger. Praktisch ist es in jedem Fall, die Nahtzugaben vor dem Wenden bis kurz vor die Naht einzuschneiden, so legen sie sich später besser flach und die Nähte lassen sich schöner ausbügeln.

Dieses Wenden in einem Rutsch klappt aber nur, wenn die beiden Hälften des rückwärtigen Kleides noch nicht miteinander verbunden sind!


Hier bekommt man schon einen Eindruck, wie das fertige Kleid später mal wirken wird.

Erst jetzt verschließe ich die rückwärtige Mittelnaht, lasse aber 40cm oben offen, um den Reißverschluss dort einsetzen zu können.

Nun kommt meine Lieblingsaufgabe (gleich nach dem Auftrennen *hüstel*): Stecken und Bügeln. Und zwar, um den Reißverschluss möglichst unsichtbar einsetzen zu können. Ich habe leider kein gutes Händchen für nahtfeine Reißverschlüsse, aber auch ein normaler Reißverschluss kann ordentlich eingesetzt werden und gut aussehen.


Tja, und dann wollte ich das Kleid zum ersten Mal auf die Schneiderpuppe aufstecken. Ich habe eine größenverstellbare. Aber auch da wieder das Problem, dass niemand Schneiderpuppen mit einem H-Cup baut. Die hat höchstens ein übersichtliches C...also improvisieren.

Meinem Zukünftigen sind fast die Augen rausgefallen, als ich begann, mit Klebeband und Frotteehandtuch eine üppige Oberweite für die Schneiderpuppe zu modellieren!

Aber es passt jetzt zumindest etwas besser als vorher.


Und dies ist jetzt der Stand von gestern abend, als ich Feierabend gemacht habe.
Es fehlen noch die Seitennähte, letzte Feinkorrekturen beim Sitz, die korrekte Länge mit Saum und die Garnierung des Kleides.

Donnerstagfrüh habe ich bei einer alten Bekannten, die gelernte Herrenschneiderin ist, einen Termin zum Ablängen des Kleides. Das kann ich nämlich nicht selbst machen und bei so kostbarem Material und solcher Stofffülle möchte ich dann doch gern einen Profi hinzuziehen.
Wir kennen uns schon seit 17 Jahren und können stundenlang in Stoffen schwelgen, fachsimpeln oder über Alltägliches klönen. Und das Schönste ist, sie traut mir einfach zu, auch als Ungelernte was Ordentliches nähen zu können. Balsam für meine Seele!

Dann werden wir auch gemeinsam austüfteln, wie ich das Kleid garnieren soll.

So, und nun kommt erstmal mein Nachmittagsbesuch. Wir werden im Pool planschen, ich habe ihn heute früh geschrubbt und neu befüllt.

Alles Liebe,
Postpanamamaxi

15 Kommentare:

  1. Also ich hab mich jetzt echt durch den kompletten Post durchgearbeitet *lach* Und verstehe davon nicht einmal die Hälfte... Ok, ich verstehe eigentlich gar nix ;-) Aber Bilder guck ich gerne *grins*

    Und da ich von Tuten und Blasen keine Ahnung hab, werd ich trotzdem überrascht, wie das Kleid aussieht *freu*

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  2. Wow, von so einer Begabung kann ich nur träumen..
    Die Stoffe ..traumhaft!

    Ich finde es total schön das Du DEIN Brautkleid selbst nähst!Und das auch noch in Windeseile!

    Sonnige Grüße Jessy

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  3. Meine Mama wäre mit Dir in den Stoffen und Schnitten versunken...sie war auch Herrenschneiderin, und leider hab ich nichts von diesem Talent geerbt!
    Ich bin so neugierig wie es weitergeht mit diesem wunderschönen Stoff, dass es ein tolles Brautkleid wird, dass ahne ich ja schon....
    Du bist echt super!
    Viel Spass beim weiternähen
    Elisabeth

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  4. von der ganzen Anleitung verstehe ich nur Bahnhof, aber die Augen konnte ich natürlich nicht abwenden, schick wird das Kleid, ich/wir sind sehr gespannt auf die komplette Braut.

    liebe Grüße
    Dörte

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  5. hallo Postpanamamaxi,

    deine aufgepimpte Schneiderpuppe sieht ja heiß aus - an Fantasie mangelt es dir nicht, das muss ich sagen. Meine "Brigitte" (so heißt meine Puppe) dümpelt so vor sich hin...
    Ist schon ein Problem, wenn einem nix von der Stange passt, aber du meisterst das ja mit Bravour, wie ich das so seh da oben...und das Kleidchen gefällt mir:-) Hoffentlich gibts dann auch ein Bild mit allem Schnickschnack und mit Frau drin....bitte, bitte!!! Bin mir sicher, ihr zwei dirndelt die Robe noch ordentlich auf - wünsche vieeeel Spaß dabei.

    Grüßle von Ines

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  6. Dein Kleid wird wunderschön,ich kann es schon vor meinem inneren Auge sehen. Toller Stoff...
    Aber deine Schneiderpuppe mit dem Frotteebusen ist der Knaller schlechthin!!! Kein Wunder das dein Schatz gestaunt hat.

    Du kannst nicht zufällig mal die technische Zeichnung zeigen???

    LG Anju

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  7. Da weiß ich ja schon mal, wo ich mal mein Kleid herbekomme - bei den großen Cups :) ...

    Ich bin grad vom Dienst rein, den ganzen Text lese ich mir morgen früh durch :)

    Lg Kristin

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  8. Hilfe ... ich glaub' Dir jedes Wort, das Du da geschrieben hast ... ehrlich! Ich hab' auch alles durchgelesen und so gut wie nix verstanden - allerdings habe ich eine Gemeinsamkeit entdeckt, nämlich: du bis 17 cm zu groß für die Norm und ich 17 cm zu klein für die Norm!
    Also sollte ich wider Erwarten noch ein Brautkleid brauchen, werde ich mich vertrauensvoll an Dich wenden, da Du Dich ja mit "außernormigen" Personen auskennst! Ich bin so gespannt auf Dein Kleid - wird bestimmt toll!
    Liebe Grüße

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  9. Hallko,
    toll, wie du erklärt hast, warum du wo wie ändern musst.
    Der Stoff ist ein Traum. Ich finde es ja mutig, dass du jetzt erst anfängst. Mit dem Hochzeitskleid für meine Tochter habe ich 1/2 Jahr vor dem Termin angefangen. Gut da war noch der Einkauf dabei, aber ich habe dann direkt losgelegt. Ich bion gespannt wie es weitergeht und und werde jeden Tag mal vorbeischauen. Und auf das fertige Kleid bin ich gespannt.
    LG
    Marianne

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  10. Anfangs beim Lesen habe ich nur Bahnhof verstanden. Aber mit den Bilder als Hilfestellung dämmerte es mir allmählich.
    Übrigens hab ich das gegenteilige Problem: breite Schultern und eine Minioberweite, also 85A.
    Trotzdem - ich verneige mich vor solchem Können und auch Mut.
    Und ich werde jetzt natürlich täglich "spechten" und den Fortgang bestaunen.
    Liebe Grüsse
    rosenmaid

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  11. So ein wunderbares Kleid............
    So etwas könnte ich nicht....
    Freunde von uns heiraten auch in 3 Wochen und da näht er das Kleid...unglaublich...
    Bin sehr gespannt auf das fertige Kleid von Dir und auf die Braut darin
    Liebe grüße vom zwerg

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  12. Ui, das war aber ein langes Tutorial, aber ich glaube "Nichtschneiderer" verstehen da nur Bahnhof. Deine Schneiderpuppe ist echt genial aufgepimpt (hätte ich eine, müsste ich wohl was abkratzen:) Jetzt fehlen ja nur mehr die "Kleinigkeiten" (ich hasse Reißverschlusseinnähen)
    und bei deinem Tempo bist du eine Woche zu früh fertig..
    Frohes Schaffen wünscht dir
    Brigitte

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  13. Ich freu mich auf dich im tollen Brautkleid, deinen Männe im schicken Anzug, deine Kidys, die Blumenkinder und deine Hochzeit, auch wenn ich nicht zu deinen Gästen gehöre. Aber ich freu mich trotzdem.
    Die Anleitung ist klasse, auch wenn ich außer Taschen nix nähen kann.
    Drück dir/euch die Daumen, das die Hochzeit mit allem drumunddran so wird wie ihr sie euch vorgestellt habt.
    LG Marina

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  14. Hihihi das liest sich ja wie ne Anleitung für mein Hochzeitskleid. Naja fast. :D
    Ich bin auch über der Norm, allerdings "nur" 12cm, und mit E-F Cups findet man auch nichts. Vor allem keine BHs, weil sobald man E hat, ist man ja ne Oma die 95E (95 hallo wem passt denn das? ner Tonne? -.-) trägt und dann natürlich auch das tolle Oma-Design will. Manno BHs kaufen ist immer furchtbar *heul* aber bei dir ist es sicher noch schlimmer.
    Ich bin ja auch mal mega gespannt auf dein Kleid, vor Allem im angezogenen Zustand. :D

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