Sonntag, 7. November 2010

Memento moriendum esse - gedenke, dass du sterblich bist

Oh jeh, jetzt wird's morbid, mag der Leser angesichts der Titelzeile vermuten.

Nein, das wird es nicht. Ich bin wohl einer jener Charaktere, denen die Neigung zum Morbiden ziemlich fehlt.  Dazu lebe ich viel zu gern.
Der Tod hat für mich nichts, das romantisch zu verklären wäre, und auch Romeo und Julia hätten, wären sie reale Personen gewesen, lieber gemeinsam gelebt, geliebt, gestritten und ihre Kinder aufgezogen, um nach einem langen und erfüllten Leben gehen zu dürfen, anstatt als romantisch-verklärtes ewig junges Liebespaar in die literarische Geschichte einzugehen.


Psalm 90, Vers 12: "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden."

Der Tod soll uns klug machen? Was nützt das dann noch, mag man sich denken. Immerhin ist es dann - zumindest für diese Welt - für uns zu spät. Allzu späte Weisheit hat immer etwas Vergebliches an sich.

Aber wenn wir wachen Blickes und offenen Herzens durchs Leben gehen, dann sehen wir den Tod überall wirken. Manchmal als Erlöser, manchmal als Schlusspunkt eines langen Lebens - und leider allzuoft und allzufrüh auch dort, wo noch so vieles zu erleben gewesen wäre.

Es kann jederzeit vorbei sein. Und wir wissen nicht, wann das sein wird und ob wir unsere Aufgaben bis dahin erfüllt haben oder nicht.

Ich habe zwei wunderbare Jungs.
Wenn man uns zusammen sieht, wenn wir gemeinsam Lebensmittel einkaufen oder im Buchladen stöbern, dann könnte man durchaus mit leisem Neidgefühl auf uns blicken. Ich wirke auf Fremde wie eine Frau, die scheinbar alles hat, was sie zu ihrem Glück braucht. Das trifft auch überwiegend zu.
Aber es stimmt nicht immer.

Sie sind 1 und 3 Jahre alt, ein Sommer- und ein Winterkind. Wenn man uns zusammen sieht, denkt man oft "oh, wie schön, zwei gesunde Kinder in genau dem richtigen Abstand".

Zwischen ihren Geburtstagen liegen genau 30 Monate.

Und 4 Babys, die nicht bleiben konnten.

Ich war viermal in meinem Leben schwanger. Die erste Schwangerschaft war völlig problemlos verlaufen und unser Erstgeborener war ein wahrhaft pflegeleichtes und sonniges Baby.

Als unser Sohn 9 Monate alt war, wurde ich wieder schwanger. Ich verlor meine Zwillinge in der 10. SSW. Dann wurde ich fast umgehend erneut schwanger und verlor dann, auf den Tag genau 3 Monate nach der ersten Fehlgeburt, auch dieses Baby in der 10. SSW.

Als man mich damals zur zweiten Ausschabung binnen dreier Monate in den OP rollte, verlor ich auf den letzten Metern die mühsam gewahrte Fassung. "Wie soll ich jemals wieder den Mut haben, nochmal schwanger zu werden?" weinte ich.

Ich wollte nie wieder diesen Horror erleben. Ich fühlte mich in diesem Augenblick bar jeder Kraft und bar jeden Mutes. Ich zwang mich zum Weitermachen. Es musste weitergehen, damit es besser werden kann, und es wurde irgendwie auch besser.
8 Monate danach hatten mein Partner und ich wieder den Mut gefunden.

Zwei Tage vor dem Todestag meiner Zwillinge hielt ich den positiven Test in der Hand. Vorsichtige Freude und ein leises Willkommen in meinem Herzen. Ich wollte mich lieber zu früh freuen als mir hinterher vorzuwerfen, mich womöglich zu spät gefreut zu haben. Weil jeder Tag kostbar wird, wenn man lernen musste, dass es jederzeit vorbei sein kann. Memento moriendum esse!

Und ein Unterdrücken der Freude hätte mir die Trauer hinterher nicht leichter erträglich gemacht. Manchmal rettet mich nur mein Pragmatismus.
Also freute ich mich wild-entschlossen und hoffte, diesmal würde alles gutgehen.

Dann begannen in der 7. SSW wieder die Blutungen. Aber jeden Abend kam die Übelkeit, die mich davon überzeugte, dass es weitergeht.
Ich hatte mir immer gesagt, ich bräuchte keinen Arzt, der ohnehin nichts anderes tun könne als zu dokumentieren, wann es vorbei ist. Das hatte ich zweimal erlebt, ein drittes Mal wollte ich mir das ersparen. Wenn es enden sollte, würde ich es früh genug von selbst merken. Ich wollte daher diesmal erst nach Ablauf der schicksalshaften 10. SSW zur Vorsorge gehen. Ich war übrigens überzeugt, wieder Zwillinge zu erwarten.

Und dann kam bei der ersten Untersuchung als Ergebnis heraus, dass es tatsächlich Zwillinge gewesen waren...aber dass nur einer lebte, während von dem anderen nur noch Reste der Fruchtanlage zu erkennen waren. Die Blutungen waren nun erklärbar.

Als ich an jenem Tag aus der Praxis ging, wusste ich nicht, ob ich nun traurig sein sollte um mein 4. Sternenkind - oder ob ich mich lieber freuen sollte darüber, ein Kind zu erwarten. Ich entschied mich für die Freude. Und sagte mir ganz pragmatisch:
"Eines ist besser als gar keines."

6 1/2 Monate später hielt ich dieses Baby in meinen Armen und war dankbar und glücklich.

Seitdem lebe ich anders. Bewusster. Es ist das Einzige, was ich für meine 4 Kinder noch tun kann. Die Toten ehren, indem ich lebe. Und zwar ganz bewusst so glücklich, wie es nur irgendwie geht.

"Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden."
Ich bin spät klug geworden. Aber nicht zu spät. Hoffe ich jedenfalls!

Nichts passiert ohne Grund, und nichts passiert zu einem bestimmten Zeitpunkt, ohne dass da ein tieferer Sinn dahintersteckt. Auch wenn wir solche Momente immer als "zum falschen Zeitpunkt" wahrnehmen. Es offenbart eigentlich nur, dass es für solche Dinge nach unseren menschlichen Maßstäben nie den richtigen Zeitpunkt gibt. Es ist irgendwie immer zu früh.

Es nimmt dem Tod meiner 4 etwas von seiner Sinnlosigkeit, wenn meine Erfahrungen irgendjemand anderem helfen können. Und es gibt meinem Leben - und dem meiner beiden Jungs - auch einen Sinn, dies zu tun. Vielleicht liegt darin meine Aufgabe, zusätzlich zu jener, meinen beiden Jungs hier eine lebenstüchtige, ausgeglichene und liebevolle Mutter zu sein.

Heute vor 3 Jahren hatte mir der Arzt verkündet, dass ich Zwillinge erwartete. Am 13.11. war dann alles vorbei. Oder mein "Leben danach" begann. Ganz so, wie man es sehen und betrachten möchte.

Wir Menschen sind sterblich. Die Liebe aber ist ein Band, das der Tod nicht durchtrennen kann.

Leise Grüße
Postpanamamaxi

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hallo und schön, dass Du hier vorbeischaust und mir antworten willst. Ich freue mich über Dein Interesse an meinem Blog. Bitte halte Dich, wenn Du hier kommentierst, an die allgemein gültigen Regeln für den höflichen und fairen Umgang miteinander. Behandle jeden so, wie Du selbst behandelt werden möchtest. Danke.
Und nun schreib los!

Disclaimer

Ich erkläre hiermit, dass ich mich ausdrücklich von allen Inhalten der von mir verlinkten Seiten in meinem Blog distanziere und mir deren Inhalt nicht zu Eigen mache.
Alle Bilder und Texte dieses Blogs sind mein persönliches und geistiges Eigentum und dürfen nicht kopiert oder veröffentlicht werden.
Sie unterliegen dem Copyright und dürfen nicht ohne meine Erlaubnis in irgendeiner Form weiterverwendet werden.