Sonntag, 14. November 2010

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres: Volks-Trauer-Tag

Es ist wieder soweit, der vorletzte Sonntag des Kirchenjahres (so die evangelische Bezeichnung) oder der 33. Sonntag im Jahreskreis (katholische Bezeichnung) ist erreicht: der Volkstrauertag.

Ich bin im Grunde wohl kein politischer Mensch, ich trage kein Parteibuch in meiner Tasche - weil ich mir ohne Parteizugehörigkeit meine Meinungsfreiheit leichter erhalten kann und weil ich fürchte, dass ich kein keine Partei wirklich hineinpasse mit meiner Eckigkeit und Wahrschreiberei.

Und trotzdem - oder gerade deswegen erlaube ich mir hier und heute, mal meine eigenen Gedanken zum Volkstrauertag in meiner gewohnt vielschichtigen Wahrnehmungsweise zu äußern.

Um es festzuhalten: Während die Politiker alljährlich dunkel gekleidet zu dieser Pflichtveranstaltung erscheinen, um Reden zu halten, Betroffenheit zu demonstrieren und Kränze mit gemessenem Ernst niederzulegen, findet dieser Feiertag in der allgemeinen Bevölkerung immer weniger Aufmerksamkeit. Die Pastorinnen und Pastoren stehen immer häufiger vor fast leeren Kirchenbänken.

Diejenigen, die noch einen direkten Bezug zu diesem 1952 wiedereingeführten Feiertag empfinden, sterben aus: Kamen früher noch die Eltern und Geschwister der Gefallenen und Opfer des zweiten Weltkrieges sowie die Veteranen zu den Gedenkfeiern, so finden sich heute bestenfalls noch die Waisen dieses Krieges als Direktbetroffene an den Denkmälern ein.
Die nachwachsenden Generationen sind - glücklicherweise - in Friedenszeiten herangewachsen, zumindest was die Kinder der BRD und DDR betrifft. Und darum finden sich auch sowenige jüngere Leute zu diesem Feiertag ein.

Dabei unterliegen wir als Bevölkerung einer Fehlannahme. Der Volkstrauertag bezieht sich NICHT nur auf die militärischen und zivilen Opfer der beiden Weltkriege (dann könnte man ihm wirklich demnächst wegen Verlust der Relevanz einstellen), sondern auf ALLE militärischen und zivilen Opfer SÄMTLICHER Konflikte in der Vergangenheit und Gegenwart. Und damit sind wir nicht mehr die bezugslose Generation der Nachkriegskinder, sondern genauso direkt betroffen wie jene Handvoll alter Leute in den Kirchenbänken.

Um diese Problematik zu verdeutlichen, müssen wir uns folgendes fragen: Was ist Frieden überhaupt?
Leben wir momentan in Frieden, nur weil wir uns nicht nachts im Keller vor Bomben verstecken müssen? Leben wir im Frieden, weil wir genug zu essen auf dem Tisch haben und nicht mit Lebensmittelmarken das Zuwenige so verteilen wollen, dass alle gleich wenig bekommen?

Leben wir im Frieden, weil momentan die Zivilbevölkerung in der Bundesrepublik relativ unbetroffen ist von von außen einwirkender Gewalt? Und was ist mit der Zivilbevölkerung jener Länder, in denen die Konflikte toben und ihre Opfer fordern? Kann man das wirklich so ignorieren, wie wir es allzugern handhaben?

Und wer spricht von den Soldaten, die im Rahmen von NATO-Einsätzen im Ausland sterben müssen?

Oder wer erinnert an die nichtmilitärisch organisierten Helfer, die eigentlich doch für den Wiederaufbau der medizinischen Versorgung, für Wasserversorgung oder sonstige Aufbauhilfen für ein strukturiertes öffentliches Alltagsleben in Krisengebieten ausgerückt sind und dort getötet, verletzt oder traumatisiert werden?

Wer erinnert an die zivilen Mitarbeiter von deutschen Firmen, die in den betroffenen Ländern beim Wiederaufbau beschäftigt sind und bei ihrem Einsatz sterben, verletzt werden oder dermaßen traumatisiert heimkehren, dass ihnen ein normales Leben danach unmöglich wird?

Was ist mit den Berichterstattern von der Presse und den Medien, die von den Konflikten berichten und sich in direkte Gefahr begeben, damit die Welt durch eine freie Presse die Wirklichkeit über die Geschehnisse erfährt?

Diese Mitmenschen werden mehr oder weniger feierlich begraben und anschließend totgeschwiegen. Kommen sie körperlich verletzt oder seelisch traumatisiert heim, müssen sie lange kämpfen, um Hilfe und evtl. Rentenzahlungen wg. Berufsunfähigkeit zu bekommen.

Nach dem körperlichen Tod im Einsatz erleben Verstorbene einen zweiten, gesellschaftlichen Tod, indem man ihnen und ihren Angehörigen die Anerkennung und Ehrung verweigert, die ihnen als Mitglieder unserer Gesellschaft zukommen sollte.

Seit 1992 entsendet die Bundeswehr Soldaten zu Auslandseinsätzen. Seitdem sind 91 Tote und 157 durch Fremdeinwirkung Verwundete zu beklagen. Und, was fast ein Viertel der toten Soldaten ausmacht und besonders erschreckend ist: Von den 91 Toten (Stand Oktober 2010, Quelle: Bundeswehr.de) sind 19 Suizidopfer. Das macht fast ein Viertel aus!
Für die zivilen Opfer, die im Rahmen ihres Dienstes bei Hilfsorganisationen (beispielsweise THW, Ärzte ohne Grenzen, DRK u.v.a.) getötet wurden, gibt es keine ausreichenden Statistiken.

Für diejenigen, die ihren Dienst im Ausland leisten, ist unser Land nicht im Frieden.

Und ist es wirklich Frieden zumindest für die deutsche Zivilbevölkerung, wenn man an die kürzlich zugestellten Briefbomben in diversen europäischen und auch unseren eigenen Regierungsbehörden denkt? Wenn sich bei Recherchen herausstellt, dass die jemenitischen Paketbomben auch über deutschem Luftraum befanden, bevor sie Richtung USA weitertransportiert wurden? Wenn an deutschen Hochschulen Terrorzellen aufgedeckt werden oder wenn fehlgeleitete Menschen ihre Intelligenz und die hier gewährte individuelle Freiheit dazu missbrauchen, um Kofferbomben zu bauen?

Leben wir tatsächlich im Frieden, wenn es offenbar einige Punkte gibt, wo unsere innere Sicherheit besser geschützt werden muss?

Können wir uns das vormachen, dass wir im Frieden leben, wenn es eigentlich ständig an irgendwelchen Ecken und Enden unserer Welt schwelt oder sogar offen aufflammt?

Spätestens mit dem Jugoslavienkonflikt ist der Krieg wieder auf europäischem Gebiet angekommen, und es gibt eine Vielzahl von Konflikten, an denen Länder wie Frankreich, Großbritannien oder Spanien beteiligt waren, die allerdings außerhalb Europas ausgetragen wurden.
Es brennt direkt vor unserer Haustür und wir wollen es nicht sehen!

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs folgte genaugenommen kein Frieden, sondern viele weitere Konflikte, die sowohl die Soldaten als auch die Zivilbevölkerung betrafen und unschuldige Opfer forderten.

Es geht dabei nicht nur um "große öffentlichkeitswirksame" Kriege wie beispielsweise die diversen Israelisch-Arabischen Kriege, Golfkrieg, Koreakrieg, Vietnamkrieg - es geht genauso um die vielen Bürgerkriege, wo Bevölkerungsgruppen aufeinander losgehen und um die bewaffneten Konflikte, die mittels Guerillataktiken oder Terroranschläge geführt werden.

"Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht!" ruft uns der Dichter Günter Eich zu, und er fordert uns auf: "Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt!"

Es ist so leicht, wegzuschauen und sich die Welt schönzuträumen, und es ist der schwierigere Weg, hellwach zu sein und genau hinzuschauen.
Dass Reden nur Silber und Schweigen Gold ist, stimmt nicht immer. Hier ist ein jeder von uns gefragt, den Mund aufzumachen und die Dinge laut und deutlich zu benennen, die unter den Teppich gekehrt werden sollen.

"Dann gibt es nur eins: Sag NEIN!" (Antikriegsmanifest, Wolfgang Borchert, 1947)

Ich habe zwei Söhne. Ich muss sie schützen nach Kräften, und sie stark und mutig und selbstdenkend erziehen. Und das werde ich tun, und ich hoffe auf Gottes Hilfe dabei.
Frieden für uns und Frieden für die Welt. Damit es uns allen gut geht, nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft. Und nicht nur hier in Deutschland und Europa, sondern überall in der Welt.

"Denn letztlich bildet die Tatsache, dass wir alle Bewohner dieses Planeten sind, das uns im tiefsten gemeinsame Band. Wir alle atmen die gleiche Luft, uns allen liegt die Zukunft unserer Kinder am Herzen, und wir alle sind sterblich." (Ansprache von John F. Kennedy nach dem friedlichen Ende der Kuba-Krise im Jahr 1963)


Nachdenkliche Grüße
Postpanamamaxi

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